Dr. Monika Wulf-Mathies schreibt in der Festschrift des Hospizvereins Bonn zur Zukunft hospizlicher Begeleitung
Gesellschaftliche Veränderungen vollziehen sich in immer kürzeren Abständen. Soziale Brüche nehmen weiter zu, der Zusammenhalt der Gesellschaft ist gefährdet. Welche Rolle dabei die aktuellen Krisen wie Pandemie, Klimawandel und der Überfall auf die Ukraine spielen, ist noch nicht abzusehen. Aber es ist durchaus naheliegend, dass sich derartig epochale Umwälzungen auf unser soziales Gefüge auswirken und möglicherweise auch die Einstellung der Menschen zum Leben und Sterben verändern.
Im Hinblick auf die Pandemie ist dies bereits heute spürbar. Immer mehr Menschen fragen sich, ob Sterben in Würde unter Pandemie-Bedingungen überhaupt möglich ist. Die Einsamkeit des Sterbens in hermetisch abgeriegelten Krankenstationen hat nicht nur die Angst vieler Menschen verstärkt, in der letzten Lebensphase hilflos und allein gelassen zu sein. Sie hat wahrscheinlich auch das Interesse an Möglichkeiten zum assistierten Suizid gesteigert.
Es reicht nicht aus, dieser Entwicklung mit neuen gesetzlichen Regelungen zur Sterbehilfe zu begegnen, sondern wir sind als Gesellschaft gefordert, realistische Alternativen zu einem von der Apparate-Medizin beherrschten Lebensende zu entwickeln und glaubwürdige Lösungen anzubieten, wie der Anspruch auf humanes Sterben in der Praxis umgesetzt werden kann.
Dazu bedarf es nicht nur der notwendigen finanziellen Mittel. Es braucht angemessene Versorgungsstandards und massive Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Pflege. Es bedarf aber auch der Einsicht, dass es sich dabei um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, die nicht bei einer Berufsgruppe abgeladen werden darf, sondern die nur im Miteinander unterschiedlicher Akteure bewältigt werden kann.
Heute arbeiten Krankenhäuser, Seniorenheime, Pflegedienste, Hospize, niedergelassene Ärzte und Ehrenamtler eher nebeneinander als miteinander. Kommunikation untereinander oder mit den Familien findet kaum statt.
Die Hospizbewegung ist deshalb ein unverzichtbares Bindeglied zwischen dem professionellen System und den individuellen Wünschen der Betroffenen, indem sie Menschen in der letzten Lebensphase unterstützt, selbstbestimmt und in Würde zu sterben. Hospizliche Begleitung schenkt Zeit und Zuwendung: zuallererst den sterbenskranken Menschen und ihren Familien, aber auch der Gesellschaft und den Einrichtungen, die unter größtem Personalmangel leiden und in Extremsituationen überlastet sind.
In den vergangenen Jahren haben Hospizvereine vielfältige Angebote mit einem breiten ehrenamtlichen Engagement entwickelt, die gerade auch von Angehörigen schwerkranker Menschen immer stärker nachgefragt werden. Es wird in Zukunft darum gehen, professionelle Strukturen in der Kranken- und Altenpflege und ehrenamtliches Engagement besser zu vernetzen, damit Menschen in der letzten Lebensphase auf die Unterstützung der Gesellschaft vertrauen können.
Dr. Monika Wulf-Mathies, Schirmherrin des Hospizvereins und der Hospizstiftung Bonn
Diesen Text schrieb sie für die Festschrift 25 Jahre Hospizverein Bonn. Die Festschrift ist online hier zu lesen:
https://www.hospizverein-bonn.de/images/jubilaeum/festschrift_hospizverein72dpi.pdf
Foto: Ian Umlauff/DJV